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Beobachtung, Bewertung, Bedeutung - Richard Seidl

Geschrieben von Richard Seidl | 10.08.2022

Im Reiseführer “Per Anhalter durch die Galaxis” wurde der ursprüngliche Eintrag “Erde: harmlos” durch intensive Recherche auf “Erde: weitgehend harmlos” erweitert. Nun, ob das heute noch so gültig ist, ist mal dahingestellt. Zumindest intergalaktisch trifft es noch zu. Aber ich frage mich zuweilen, was sich wohl Außerirdische so denken könnten, wenn sie das hiesige Treiben beobachteten: Würden sie amüsiert schmunzeln? Sprachlos staunen? Oder abends an der Bar beim pangalaktischen Donnergurgler mit anderen Extraterrestrischen darüber sinnieren, was die Erdlinge mit manchem Verhalten wohl bezwecken mögen?

Totholz

“Wisst ihr, was ich an den Erdlingen am Absurdesten finde? Jedes Jahr, wenn die Tage kürzer und kälter werden, schwärmen sie aus und kaufen sich tote Nadelbäume. Manche strecken sogar selbst ihr Exemplar im Wald nieder. Dann stellen sie es in ihren Höhlen auf und packen allerlei Firlefanz dran. Vielleicht lenkt das davon ab, dass das Bäumchen weiter vertrocknet. Und dann werden viele Dinge in sehr viel buntes Papier gewickelt und darunter gelegt. Stunden später, nachdem das Arrangement teils besungen wurde, werden die mitunter recht aufwendigen Wickel runtergerissen und entsorgt. Oft nur wenige Tage später endet auch der Baum auf gemeinsam genutzten Flächen außerhalb der Höhlen.”

Fahrkasten

“Ach, das ist doch noch gar nix. Wisst ihr, was wirklich verrückt ist? Die allgegenwärtige Präsenz von diesen rollenden Einheiten. Vor jeder Höhle stehen eins oder mehrere davon. Manchmal setzen sich Erdlinge rein – meist allein, obwohl sie sehr bemüht sind, dass die Einheit möglichst groß ist und viel Platz bietet. Damit bewegen sie sich an einen anderen Ort. 90 Prozent der Zeit steht das Teil allerdings vor den Behausungen rum. Und selbst wenn sie fahren, geht es oft nicht weiter, weil so viele das gleichzeitig am selben Ort tun. Sehr lange Zeit stehen die Einheiten auch vor Leuchtpfählen. Wenn es oben leuchtet, hält man an. Das viele Stehen in ihrer Einheit nervt die Erdlinge zunehmend, es ist vielen aber trotzdem sehr wichtig, es genauso weiter zu tun. Damit sie überhaupt mit ihren Einheiten von einem zum anderen Ort gelangen, gibt es überall feste, breite, graue Steinflächen, mit denen sie die ganze Erde überzogen haben. Mir erscheint es ineffizient.

Es gibt auch längere fahrbare Behälter für mehrere Terrestrier. Viele Terrestrier wollen aber unbedingt in ihrem eigenen Behälter stehen. Da sie ganz viele ihrer Höhlen komprimiert beieinander errichtet haben, könnte man glauben, es geht den Erdlingen um ein kollektives Miteinander. Aber die Idee könnte auch sein, mehr Abstellflächen und Wege für diese Fahreinheiten zu haben, denn die stehen wirklich überall, teils gestapelt auf großen Etagen oder in Einzelboxen. Alle zwei Jahre brauchen die meisten Erdlinge dringend eine neue Fahr-Einheit, obwohl die an sich recht stabil sind und lange halten.

Ach ja – an einer Stelle ist bei vielen Einheiten so eine Öffnung, in die man giftige, endliche Flüssigkeit füllen kann. Die wird dann in der Einheit verbrannt, damit die Erde noch etwas wärmer werden kann. Vielleicht wollen die immer Sommer haben?”

KraftPunkt

“Nein, das glaub ich nicht. (Nimmt einen Schluck) Denn auch wenn es draußen schön ist, sitzen die ja oft drinnen in den Einheiten oder in ihren Höhlen. Ich schau mir die Erdlinge ja immer wieder an und habe noch was Seltsames entdeckt: Manche tun sich ganz regelmäßig zusammen, entweder an einem Ort oder energetisch verbunden, um mit den Fingern auf Tasten zu drücken, um so virtuelle Dinge zu erzeugen. Das nennen sie dann”Programmieren”. Ich fand das ganz witzig, weil die damit auch schon ganz viel Vernetzung und Kommunikation geschafft haben. Und auch ein bisschen ihre Kooperation optimiert haben. Die nennen das irgendwie Internet und Software und Apps. Naja, auf jeden Fall wollen die da richtig schlaue Dinge erschaffen, der Weg dahin ist aber oft sehr ineffizient. So sitzen die Tag für Tag in Besprechungen zusammen und schauen auf sogenannte KraftPunkt-Präsentationen. Dabei ist es scheinbar relevant, etwa Irrelevantes zu kritisieren. Je spezieller die verbalisierten Worthülsen klingen, desto besser. Am Ende werden dann neue Aufgaben erdacht und man trifft sich schon bald wieder – immer wieder in anderer Konstellation. Seltsam ist, dass für das, was die eigentlich kreieren wollten, dabei nur wenig Zeit bleibt. KraftPunkt wird übrigens für quasi alles eingesetzt: Berichte, Dokumente, Beschreibungen. Das versteh einer – da haben die so viele technische Potenziale und verschwenden die Zeit mit Nichtigkeiten.” “Ja, das ist echt absurd. Wisst ihr was? Wir sollten dem Reiseführer-Verlag Ursa Minor eine Änderung vorschlagen. Machen wir besser aus ‘Erde: weitgehend harmlos’ den Eintrag ‘Erde: weitgehend harmlos, stellenweise absurd’. Prost, auf die Erde!”

Wir bewerten und geben Dingen eine individuelle Bedeutung. Ob etwas sinnvoll oder absurd ist, ist dabei subjektiv. Was dem Einem wichtig ist, findet der Andere doof. Und dennoch: Nur weil etwas früher immer schon so gemacht wurde, kann es heute Unsinn sein. Die Lösungen von gestern sind die Probleme von heute. Was hilft: Immer mal hinschauen, kritisch sein und: Perspektivwechsel!